Wie bereits angekündigt, schulen wir seit März 2021 die Ausbildung zum IREB Certified Professional for Requirements Engineering (CPRE) Foundation Level nach dem neuen Syllabus 3.0. In diesem Artikel beleuchte ich einige der Änderungen und gebe Feedback als Trainerin.
Der vorige Lehrplan 2.2 aus dem Jahr 2016 wäre sicher noch ein paar Jahre ebenfalls brauchbar. Ich finde es aber gut, dass IREB nicht wartet, bis die Inhalte und Methoden veraltet sind und erst dann Änderungen vornimmt. IREB aber geht mit der Zeit und setzt wie ein Influencer neue Trends für den Bereich.
Macht des Wortes
Die Wissenschaftler Andrew Newberg, M.D. und Coach Mark Robert Waldman haben Beweise gesammelt, dass Worte buchstäblich das Gehirn verändern können. Sie behaupten, dass der Grund von Gesprächsdefiziten ein unterentwickeltes Gehirn und nicht etwa schlechte Bildung ist. In ihrem Buch, Words Can Change Your Brain, schreiben sie: “Die richtigen Worte, auf die richtige Weise gesprochen, können uns Liebe, Geld und Respekt bringen, während die falschen Worte — oder sogar die richtigen Worte auf die falsche Weise gesprochen — ein Land in den Krieg führen können.” Niemand in der IT weiß es besser, wie wichtig es ist, das wirkliche Problem zu finden und es richtig zu beschreiben, als Leute, die sich mit Anforderungsanalyse beschäftigen. Man kann eine schlechte Projektplanung überwinden, man kann eine schwache Software-Codierung überwinden, aber niemand hat jemals mit vagen Anforderungen Erfolg gehabt. Wenn das Falsche ermittelt wurde, wird das Falsche gebaut.
Leider sieht das Business Requirements Engineering (RE) immer noch als etwas, das im besten Fall die Softwareentwicklung verlangsamt und im schlimmsten Fall überflüssig ist. Der zunehmende Agile-Buzz hat RE eine Zeit lang stark beeinflusst und sogar unterdrückt. Als Berater, Trainer und Coach habe ich zu viele agile Teams gesehen, die mit schlechten Anforderungen und Themen drum herum zu kämpfen hatten. Einfach weil die meisten den Begriff “Anforderung” mit dem Vorgehen in einem klassischen Wasserfallprojekt assoziieren. Der typische Kommentar ist: “Wir haben keine Anforderungen, wir haben User Stories!” Man kann einem Kind viele Namen geben, aber eines bleibt immer gleich — man muss sich um das Kind kümmern, egal welchen Namen es trägt. Tatsächlich bedeutet der Begriff “Anforderung” u.a. eine dokumentierte Darstellung der Bedürfnisse oder Wünsche der Stakeholder. Er impliziert in keinem Fall eine Aussage über das projektspezifische Entwicklungsmodell, in dem das Team arbeitet. Diese Fehlwahrnehmung, dass Anforderungen und Requirements Engineering nur etwas für klassische Projekte sind, kann in agilen Projekten zu finanziellen Einbußen oder Misstrauen der Stakeholder führen.
Viele Agilisten, die zum CRPE-Training kommen, sind überrascht, wie nah die Requirements-Engineering-Prozesse am agilen Mindset sind. Das IREB hat das erkannt und um beide Welten zu vereinen und Missverständnisse auszuräumen, wird im neuen CRPE-Lehrplan von Work-Products gesprochen. Darunter werden je nach Kontext sowohl die einzelnen Anforderungen und User Stories als auch die Beschreibungen von (externen) Schnittstellen, Use Cases, Epics, etc. verstanden.
Grundlegende Prinzipien des Requirements Engineering
Der neue Lehrplan ersetzt die bekannten vier Haupttätigkeiten des Requirements Engineers mit neun Prinzipien. Kapitel 2 befasst sich ausschließlich mit dem Thema, hier nur ein kurzer Einblick.
Prinzip 1 Wertorientierung: Anforderungen sind ein Mittel zum Zweck,
kein Selbstzweck
Prinzip 2 Stakeholder: Im RE geht es darum, die Wünsche und Bedürfnisse der
Stakeholder zu befriedigen
Prinzip 3 Gemeinsames Verständnis: Erfolgreiche Systementwicklung ist ohne
eine gemeinsame Basis nicht möglich
Prinzip 4 Kontext: Systeme können nicht isoliert verstanden werden
Prinzip 5 Problem — Anforderung — Lösung: Ein unausweichlich ineinander-
greifendes Tripel
Prinzip 6 Validierung: Nicht-validierte Anforderungen sind nutzlos
Prinzip 7 — Evolution: Sich ändernde Anforderungen sind kein Unfall,
sondern der Normalfall
Prinzip 8 — Innovation: Mehr vom Gleichen ist nicht genug
Prinzip 9 — Systematische und disziplinierte Arbeit:
Wir können im RE nicht darauf verzichten
Für professionelle Requirements Engineers ist dies Alles nichts Neues. Diese neun Prinzipien sehe ich ähnlich wie das Agile Manifest, wie eine Erinnerung im hektischen Software-Herstellungsalltag, als einen Leuchtturm im Sturm, der uns den Weg weist.
Bis bald!
Ich hoffe, ich habe Deine Neugier geweckt und würde mich freuen, Dich in einem von unseren Trainings kennenlernen und Dir mehr über Requirements Engineering erzählen zu können.